Weltliteratur in der Gartenvorstadt Marienbrunn – Bericht von den Lesungen des Marienbrunner Literaturstammtische MLST
Sebastian Krumbiegel, Ingeborg Schuchart, Matthias Kudra, Susi Günther, Gerd Voigt undMatt Liebsch zur 2. Marienbrunner Lesenacht
Zur 2. Marienbrunner Lesenacht am 22. März im Rahmen von „Leipzig liest“ und am 17. Mai veranstaltete der MLST zwei interessante und spannende Lesungen in der „Futterkiste“. Das Wort Weltliteratur ist vielleicht etwas übertrieben, aber es waren und sind Geschichten, die die Welt erschütterten, über die Ingeborg Schuchart, Hanskarl Hoerning und Britte Nowack zu erzählen hatten.

Doch zu Beginn stand wie schon bei der ersten Lesenacht vor einem Jahr eine Kinderlesung, wo Matt Liebsch aus Claudia Mendes Buch „Tom und der Waldschrat – Der Rat der Tiere“ die Kinder so sehr fesselte, dass die Regie zum Schluss drängeln musste. Dann hatten die Zeitzeugen das Wort. Ingeborg Schuchart zeichnet in ihrem viel beachteten Roman-Debüt „Nur ein Leben“ sudetendeutsche Schicksale nach. Die Geschichte um den deutschen Gerichtsrate Dr. Joseph Renner, der Offizierswitwe Therese, die ihren tödlich verunglückten Sohn, den Konzertpianisten Emmanuel betrauert, sowie Anna, dessen Verlobte und Mutter von Emmanuels Kind Emma beginnt mit der Annexion der Tschechoslowakei durch Hitlerdeutschland und endet mit der anschließende Vertreibung der deut-schen Minderheit als auch der deutschen Teilung Deutschlands.

Um die Teilung Deutschlands ging es auch in Hanskarl Hoernings Geschichte „Schwejk vom Katharinenberg“. In humorvoller, pointierter Art und Weise zeichnet der ehemalige Pfeffermüller darin ein schwarzes Kapitel aus dem Leben seines Freundes Gerd Voigt nach. Als Grenzsoldat kroch Voigt mit drei seiner Kameraden nachts durch die Sperranlagen der innerdeutsche Grenze am Grenzkontrollpunkt Katharinenberg um mit den Leuten „von drüben“ ins Gespräch zu kommen und Bier zu trinken. Nach seiner Armeezeit wurde er dafür mit 2 Jahren und 5 Monaten Gefängnis bestraft. Doch die Sache hatte bei aller Tragik auch etwas Gutes. Im Gefängnis lernte er einen Mitgefangenen kennen, der seine Leidenschaft zur Artistik teilte und ihm, dank der Ausbildung zum staatlich anerkannten Artisten, die Kunst von der Pike auf beibrachte. Auch mit fast 74 Jahren hat er davon nichts verlernt, wie sich die Besucher im gut gefüllten Saal der „Futterkiste“ überzeugen konnten. Als Voigt seine Leidenschaft im Gefängnis zur Berufung machte, wurde Sebastian Krumbiegel geboren. Seine ersten Lieder hat er während seiner Armeezeit geschrieben. Es sind Lieder wie „Der schönste Junge aus der DDR“, in denen die Botschaft zwischen den Zeilen verklausuliert ausgedrückt werden musste. Engagieren und Courage zeigen, das macht der Sänger der Prinzen auch heute noch. „Ich will meine Meinung sagen und das reflektieren, was mich bewegt“ sagte er dazu. Ein Beleg dafür ist sein Song „Mein rechter, rechter Platz ist schon lange nicht mehr leer“. Eindringliche und mahnende Worte zugleich.

Doch am Ende der Lesenacht fragten sich die Zuhörer: „Wo ist er eigentlich, der Schlüssel zum Glück?“. Dem ging Susi Günther vom MLST in einem sehr philosophischen Text nach, wo sie sich auch auf den chinesischen Lehr-meister und Philosophen Konfuzius bezog. „Um die Welt in Ordnung zu bringen ... müssen wir erst unsere Herzen in Ordnung bringen“ so ihre Bot-schaft für ein unvoreingenommenes Zusammenleben aller Menschen un-tereinander, als kleinsten gemeinsamen Nenner. Eine Aussage, die Sebastian Krumbiegel mit seinem Lied „Die Liebenden“ manifestierte und damit die diesjährige Marienbrunner Lesenacht perfekt abrundete. Am Ende gab es viele zustimmenden Worte für die Organisatoren Susanne Günther, Sven Billwitz und Matthias Kudra. „Das war wirklich Weltliteratur zur Buchmesse hier in der Gartenvorstadt Marienbrunn“ war sich der Marienbrunner Matthias Görig sicher. „Eine sehr runde Angelegenheit, in der Musik und Literatur gut zueinander gepasst haben“, ergänzte Ina Kurtz. Ein ganz besonderer Dank des MLST geht an die Kirchgemeinde Leipzig-Marienbrunn für die Bereitstellung des Keyboards und der dazugehörigen Technik. Vielen Dank auch an alle Autoren, die auf ein Honorar verzichteten und dem Team der Futterkiste, die den Besucheransturm so professionell und liebevoll meisterterten.

Einen Besucheransturm hatte das Team der Futterkiste auch am 17. Mai zu be-wältigen, als Brigitte Nowack bei der nächsten Lesung ihren Roman „Karls Romanze“ vorstellte. Darin enthüllt sie was alles passieren kann, wenn man plötzlich in den 70er Jahren Post vom staatlichen Notariat mit einer Mitteilung über eine Erbschaft auf Sizilien im damaligen kapitalistischen Ausland bekommt. Eine Großmutter auf Sizilien, das konnte nicht sein, glaubte sie damals. Doch als sie ihren Opa in seinen letzten Lebenstagen danach befragte offenbarte er ihr seine Romanze und sie begab sich Jahrzehnte später auf Spurensuche. Was sie dabei erlebt hat, erzählt sie in ihrem Roman „Karls Romanze“. Eine Geschichte die nicht verloren gehen darf. Das belegt auch das große Interesse an der Lesung und an dem Buch. Am Ende war es eine sehr spannende Lesung, wo es der Autorin her-vorragend gelungen ist, die Lesung interessant aufzubauen und vorzutragen. Das empfand auch Helga Marten-Rausch, die wie Nowack zur Gruppe der schreibenden Seniorinnen und Senioren gehört. „Eine ganz tolle Lesung, wo Frau Nowack ein feines Gespür entwickelt hat, über die Menschen zu erzählen“ urteilte sie.

Veröffentlicht im Mitteilungsblatt II/ 2019 der Freunde Marienbrunns