Weltliteratur in der Gartenvorstadt Marienbrunn – Bericht von den Lesungen des Marienbrunner Literaturstammtische MLST

Zur  2.  Marienbrunner  Lesenacht  am  22.  März  im  Rahmen  von  „Leipzig liest“ und am 17. Mai veranstaltete der MLST zwei interessante und spannende Lesungen in der „Futterkiste“. Das Wort Weltliteratur ist vielleicht etwas übertrieben, aber es waren und sind Geschichten, die die Welt erschütterten,  über  die  Ingeborg  Schuchart,  Hanskarl  Hoerning  und  Britte Nowack zu erzählen hatten.
Doch zu Beginn stand wie schon bei der ersten Lesenacht  vor  einem  Jahr  eine  Kinderlesung,  wo  Matt  Liebsch  aus  Claudia Mendes Buch „Tom und der Waldschrat – Der Rat der Tiere“ die Kinder so sehr fesselte, dass die Regie zum Schluss drängeln musste. Dann hatten die Zeitzeugen das Wort. Ingeborg Schuchart zeichnet in ihrem viel beachteten Roman-Debüt  „Nur  ein  Leben“  sudetendeutsche  Schicksale  nach.  Die  Geschichte um den deutschen Gerichtsrate Dr. Joseph Renner, der Offizierswitwe Therese, die ihren tödlich verunglückten Sohn, den Konzertpianisten Emmanuel betrauert, sowie Anna, dessen Verlobte und Mutter von Emmanuels Kind Emma beginnt mit der Annexion der Tschechoslowakei durch Hitlerdeutschland und endet mit der anschließende Vertreibung der deut-schen Minderheit als auch der deutschen Teilung Deutschlands. 
Um die Teilung Deutschlands ging es auch in Hanskarl Hoernings Geschichte „Schwejk vom Katharinenberg“. In humorvoller, pointierter Art und Weise  zeichnet  der  ehemalige  Pfeffermüller  darin  ein  schwarzes  Kapitel  aus dem Leben seines Freundes Gerd Voigt nach. Als Grenzsoldat kroch Voigt mit drei seiner Kameraden nachts durch die Sperranlagen der innerdeutsche  Grenze  am  Grenzkontrollpunkt  Katharinenberg  um  mit  den  Leuten „von drüben“ ins Gespräch zu kommen und Bier zu trinken. Nach seiner Armeezeit wurde er dafür mit 2 Jahren und 5 Monaten Gefängnis bestraft. Doch die Sache hatte bei aller Tragik auch etwas Gutes. Im Gefängnis lernte er einen Mitgefangenen kennen, der seine Leidenschaft zur Artistik teilte und  ihm,  dank  der  Ausbildung  zum  staatlich  anerkannten  Artisten,  die Kunst von der Pike auf beibrachte. Auch mit fast 74 Jahren hat er davon nichts verlernt, wie sich die Besucher im gut gefüllten Saal der „Futterkiste“ überzeugen konnten. Als Voigt seine Leidenschaft im Gefängnis zur Berufung machte, wurde Sebastian  Krumbiegel  geboren.  Seine  ersten  Lieder  hat  er  während  seiner Armeezeit  geschrieben.  Es  sind  Lieder  wie  „Der  schönste  Junge  aus  der DDR“,  in  denen  die  Botschaft  zwischen  den  Zeilen  verklausuliert  ausgedrückt  werden  musste.  Engagieren  und  Courage  zeigen,  das  macht  der Sänger der Prinzen auch heute noch. „Ich will meine Meinung sagen und das reflektieren, was mich bewegt“ sagte er dazu. Ein Beleg dafür ist sein Song „Mein rechter, rechter Platz ist schon lange nicht mehr leer“. Eindringliche und mahnende Worte zugleich.
Doch am Ende der Lesenacht fragten sich die Zuhörer: „Wo ist er eigentlich, der Schlüssel zum Glück?“. Dem ging Susi Günther vom MLST in einem sehr philosophischen  Text  nach,  wo  sie  sich  auch  auf  den  chinesischen  Lehr-meister  und  Philosophen  Konfuzius  bezog.  „Um  die  Welt  in  Ordnung  zu bringen ... müssen wir erst unsere Herzen in Ordnung bringen“ so ihre Bot-schaft für ein unvoreingenommenes Zusammenleben aller Menschen un-tereinander, als kleinsten gemeinsamen Nenner. Eine Aussage, die Sebastian Krumbiegel mit seinem Lied „Die Liebenden“ manifestierte und damit die diesjährige Marienbrunner Lesenacht perfekt abrundete. Am Ende gab es viele zustimmenden Worte für die Organisatoren Susanne Günther, Sven Billwitz und Matthias Kudra. „Das war wirklich Weltliteratur zur Buchmesse hier in der Gartenvorstadt Marienbrunn“ war sich der Marienbrunner Matthias Görig sicher. „Eine sehr runde Angelegenheit, in der Musik und Literatur gut zueinander gepasst haben“, ergänzte Ina Kurtz. Ein ganz besonderer Dank des MLST geht an die Kirchgemeinde Leipzig-Marienbrunn für die Bereitstellung des Keyboards und der dazugehörigen Technik. Vielen Dank auch an alle Autoren, die auf ein Honorar verzichteten und dem Team der Futterkiste, die den Besucheransturm so professionell und liebevoll meisterterten. 
Einen Besucheransturm hatte das Team der Futterkiste auch am 17. Mai zu be-wältigen,  als  Brigitte  Nowack  bei  der nächsten  Lesung  ihren  Roman  „Karls Romanze“  vorstellte.  Darin  enthüllt  sie was  alles  passieren  kann,  wenn  man plötzlich  in  den  70er  Jahren  Post  vom staatlichen Notariat mit einer Mitteilung über  eine  Erbschaft  auf  Sizilien  im  damaligen  kapitalistischen  Ausland  bekommt.  Eine  Großmutter  auf  Sizilien, das  konnte  nicht  sein,  glaubte  sie  damals.  Doch  als  sie  ihren  Opa  in  seinen letzten  Lebenstagen  danach  befragte offenbarte er ihr seine Romanze und sie begab  sich  Jahrzehnte  später  auf  Spurensuche.  Was  sie  dabei  erlebt  hat,  erzählt sie in ihrem Roman „Karls Romanze“.  Eine  Geschichte  die  nicht  verloren gehen  darf.  Das  belegt  auch  das  große Interesse  an  der  Lesung  und  an  dem Buch. Am Ende war es eine sehr spannende Lesung, wo es der Autorin her-vorragend gelungen ist, die Lesung interessant aufzubauen und vorzutragen. Das empfand auch Helga Marten-Rausch, die wie Nowack zur Gruppe der  schreibenden  Seniorinnen  und  Senioren  gehört.  „Eine  ganz  tolle  Lesung, wo Frau Nowack ein feines Gespür entwickelt hat, über die Menschen zu erzählen“ urteilte sie.
Veröffentlicht im 
 Mitteilungsblatt II/ 2019  der Freunde Marienbrunns
mkudra am 18. August 19
 | 
Permalink
 | 
0 Kommentare
 | 
kommentieren