Betretenes Schweigen im cafe esprit als Grit Poppe einige Passagen aus ihrem im vergangenem September erschienenen Jugendbuch "Weggesperrt" gelesen hat. Wie sagte doch Hans-Jürgen Rüstau mit seinen einleitenden Worten: "Das Buch spiegelt einen Teil unserer Geschichte wider, von dem wir bisher nichts wußten oder ahnten". Wer wußte schon, dass sich in Torgau von 1964 bis 1989 der einzige Geschlossene Jugendwerkhof der DDR befunden hat, wo Jugendliche unter menschenunwürdigsten Bedingungen eingesperrt worden, ohne eine Straftat begangen zu haben. Im Prinzip konnte da jeder für maximal 6 Monate hinkommen, der in anderen Erzeihungsheimen zum Teil aus nichtigen Gründen (Bettnässen) negativ aufgefallen war, oder aus einem anderen Grund (Ausreiseantrag der Eltern) nicht ins Bild einer "sozialistischen Persönlichkeit" passte. Grit Poppe ist als Landesgeschäftsführerin Brandenburg für Demokratie Jetzt bei Recherchen auf dieses Thema gestossen. Die Geschichte ihrer Romanfigur Anja ist rein fiktiv, stützt sich aber auf viele Einzelschicksale. Grit Poppe betont: "Die Geschichte sollte so authentisch wie möglich sein". Auf das "Authentisch" legt sie großen Wert. Das konnte die ebenfalls anwesende Zeitzeugin Kerstin Kuzia, die 4,5 Monate selbst in Torgau verbracht hat, nur unterstreichen. Beim Lesen von Poppes Buch vermischen sich ihre eigene und die fiktive Geschichte zu weilen. Wörtlich setzte sie hinzu: "Es ist Wort für Wort alles wahr". Dann schilderte sie ihre Ängste, die sie nach der Entlassung und der zwei Jahre später folgenden Mutterschaft hatte. Ständig lebte sie in Panik, dass sie – bis 21 war das möglich – nach Torgau zurück müsse und man ihr das eigene Kind wegnehmen würde. Auch nach 20 Jahren, so gesteht Kerstin Kuzia bleibt Torgau für sie das schlimmste Ereignis in ihrem Leben, auch weil es geheim war, denn jeder mußte bei der Entlassung eine Stillschweigenserklärung unterschreiben. Man kann es höchstens verdrängen, wie sie es 7 Jahre getan hatte, aber unter gewissen Umständen (Tod oder Trennung vom Partner) bricht es wieder auf und dann braucht man therapeutische Hilfe.
Grit Poppes Anliegen war es gerade in der aktuellen Diskussion des Missbrauches von Kindern, die Geschichte aus der Sicht eines Opfers zu schreiben. "Diese Geschichten dürfen nicht vergessen werden", so Poppe weiter. Ihr Buch trägt gewiß dazu bei. Als zum Schluß der Lesung noch Lieder eingespielt wurden, die die Kinder damals heimlich gesungen haben, wieder betretenes Schweigen, kein Applaus. Die interessierten Zuhörer im cafe esprit erlebten insgesamt eine beeindruckende Lesung und es fiel schwer danach in den Alltag zurück zu kehren.
Veröffentlicht am 21.03.10 auf
www.taucha-online.de